Dienstag, 8. Juni 1999 Schleswig-Holsteinische Landeszeitung

Flensburger Kunst-Beitrag für den 28. Evangelischen Kirchentag in Stuttgart

"Man muß den bedrohlichen Ton
aushalten können"

"Riten des Übergangs" hat Uwe Appold die Ton-Installation für den Kirchentag genannt.
Foto: Dahl

Unewatt - Anne Sperschneider

Ein Mix aus sakralen Bezügen und verwirrenden Klangfarben erwartet die Besucher des diesjährigengte Evangelischen Kirchentages in Stuttgart gleich beim Eintritt in das Tagungsgebäude: Die ebenso wie zum Nachdenken anregende Ton-Installation des Flensburger Bildhauers Uwe Appold. Bei seinen "Riten des Übergangs" erzeugen die Betrachter Töne - und können ein neues Raumerlebnis testen.

Der Gang nach Golgatha, die Dornenkrone Christi und der Heilige Sebastian sind einige sakrale Bezüge, auf die der schleswig-holsteinische Beitrag zum 28. Evangelischen Kirchentag in Stuttgart verweist. Die Ton-Installation "Riten des Übergangs" des Flensburger Bildhauers Uwe Appold ist als einer der wenigen Kunst-Beiträge vom 16. bis 20. Juni im Tagungsgebäude auf dem Stuttgarter Mercedes-Gelände zu sehen: buntbemalte, mit Zeitungen beklebte oder symbolträchtig von Pfeilen durchbohrte Orgelpfeifen in verschiedenen Größen, von deren spitzen Enden Plastikschläuche wie Nabelschnüre abgehen. Beschriftet sind die metallenen Instrumenten-Teile mit Bibelzitaten wie "Almosen", "Erhörung" oder - in diesen Tagen nur allzu präsent - "Feindesliebe", die hauptsächlich den Überschriften der Bergpredigt entnommen sind. Sobald sich ein Besucher der Installation nähert, kommt ein weiterer Effekt hinzu: der Klang. Jeder, der das Kunstwerk betritt, erzeugt automatisch Töne.

Dem Besucher wird einiges abgefordert, denn die 18 Töne in Moll erzeugen eine verwirrende und bisweilen beunruhigende Klangwelt. Je nachdem, ob er die "Riten des Übergangs" allein oder in der Gruppe, langsam oder schnell passiert, erklingen einer oder mehrere Töne, oft in dissonantem Kontrast. Bewegungsmelder setzen mit den empfangenen Reizen ein Gebläse in Gang, das die Luft-Zufuhr der Orgelpfeifen regelt: Sobald der Mechanismus aktiviert wird, erklingt ein Ton, dem bei fortlaufender Bewegung weitere folgen. Der Ton dauert solange, bis jegliche Bewegung aussetzt.

"Man muß sich darauf einlassen und damit auseinandersetzen, muß den bedrohlichen Ton aushalten können. Es entsteht ein völlig neues Raumerlebnis", befand die Flensburger Pröpstin Jutta Gross-Ricker bei der Generalprobe in Uwe Appolds Werkstatt in Unewatt (Kreis Schleswig-Flensburg).
Wie vielfältig die Klangwelten sind, wird ein Tänzer bei der Vernissage in Stuttgart demonstrieren. "Im Gegensatz zum normalen Tanz, bei dem die Bewegung der Musik folgt, erzeugt der Tänzer die Musik zu seiner Performance selbst", erklärt Uwe Appold. Gleichzeitig weist der Künstler auf eine weitere Besonderheit hin: "Die alte Nikolai-Kirchenorgel erhält hier neue Botschaft und Gestalt". Denn ein Großteil der verwendeten Pfeifen stammt aus dem Flensburger Gotteshaus. Der Husumer Orgelbaumeister Lothar E. Banzhaf hat die Technik konzipiert, mit der die "neuen" Töne erzeugt werden. Zum Jahresende soll die Installation in einer der Kirchen in der Fördestadt präsentiert werden.

Von der Bereitschaft der Kirchentag-Besucher, sich mit der Ton-Installation auseinanderzusetzen, wird es abhängen, ob die "Orgelpfeifen" nur als visueller Eindruck und unerwartete Geräuschkulisse im Gedächtnis bleiben, oder ob sie Denkprozesse in Bewegung setzen. Wer sich etwas Zeit nimmt und experimentierfreudig ist, wird über das Kunstwerk einen neuen Bezug zum Motto des Kirchentages herstellen können: "Ihr seid das Salz der Erde".